Retrospektive: Scheitern ist das neue Wachsen.

Neue Stadt, neues Glück.

Dann kam die Liebe inklusive neuem Konzept:

Tada, Hurra!

Alles neu, alles anders.

Doch woran scheiterten wir?

Letztlich an der Illusion bereit zu sein. Bereit, einander bedingungslos zu vertrauen. Bereit, die eigenen Dämonen in den Schatten zu stellen. Bereit, das eigene Ego in gewissen Momenten außer Acht zu lassen und sich für die Liebe zu entscheiden. Bereit sich den unschönen Momenten zu stellen, die eine offene Beziehung mit sich bringen kann. Bereit, sich selbst zu reflektieren und weniger angenehmen Gefühlen einen Raum zu geben. Am Ende hielten wir uns gegenseitig aus und sprachen uns Mut zu. Das ist auch gut so und wichtig, aber eben nicht essentiell für eine gesunde Beziehung.

„Wir waren Auslöser, Leidtragender und Krankenpfleger in einem, wenn es um die Traumata des anderen ging.“

Ständig triggerten wir alte Gefühle in uns, ständig entschuldigten wir uns für extreme Situationen oder unverhältnismäßige Reaktionen. Über unsere Affären sprachen wir nicht, zumindest nicht wirklich. Wir wussten wann und wo es geschah, aber weder mit wem noch wie es verlief. Wirklich darüber reden wollten wir nicht, wirklich ehrlich zueinander sein verkrafteten wir bis jetzt scheinbar noch nicht. Also lebte jeder sein Leben, verweilte weiterhin in seiner gefühlstechnischen Komfortzone und richtete sich dort unter Floskeln und von netten Worten umhüllt sein persönliches Schutzzentrum ein.

Wir redeten viel, aber redeten wir wirklich? In einigen Momenten schon, in anderen hingegen gar nicht. Aber irgendwie wollten wir die Fassade nach außen hin ja auch aufrechterhalten, die Fassade des Andersseins, denn viele lebten noch nicht alternativ – in einem alternativen Konzept, zumindest war das zu Beginn nicht so.

„Viele Fragen, viel Gegenwind, Zweifel, Skepsis, unschöne Fragen, unangenehme Konversationen… das alles hinterließ Spuren, das alles zehrte auf die Dauer.“

Aber anstatt uns davon nicht weiter irritieren zu lassen, fanden wir logische Lösungen und diskutierten Eifersucht einfach weg. Einfach nicht weiter drüber reden, einfach indirekt dafür verurteilen. Wie rückschrittlich, wie steinzeitlich, wer wird denn heute noch neidisch sein? Es gibt doch alles im Überfluss und wer will sich denn eigentlich noch wirklich binden? Monogamie ist so Mainstream. Also lieber weiter Fremde vögeln und Offenheit propagieren. An für sich kein Problem, an für sich auch echt ne nette Sache. Aber wenn die Vertrauensbasis fehlt und eine gemeinsame romantische Zeit nicht wirklich stattgefunden hat… bis dato – dann kann das alles auch mal etwas zu viel auf einmal sein.

Zu viel gewollt, überschätzt, Entscheidungsfreiheit bringt am Ende eben was genau? Richtig, Entscheidungen. Wer entscheidet sich schon gern? Dafür oder dagegen, und wenn ich beides haben will? Dann krieg ich das auch. Manchmal. In der Liebe nicht immer, aber dafür gibt es ja diese alternativen Konzepte: weniger Bindung, mehr Flexibilität. Leider sind Gefühle nicht immer logisch, und leider lassen sich Emotionen selten wegdiskutieren – höchstens konditionieren. Aber das braucht Zeit. Kommt Zeit, kommt Rat. Stimmt, zumindest in diesem Fall.

„Einige ONS, wenig Affären später fanden wir uns wieder: zum Teil befriedigt, zum Teil ernüchtert.“

Mehrwert hatten die Treffen mit Dritten in manchen Fällen, aber eben auch nicht immer. Gerade zu Beginn der Beziehung als noch nicht klar war, wie viel Offenheit wir problemlos kompensieren konnten, strapazierten wir uns manchmal über.

Uns, unsere Intimität, unsere Paarbeziehung, unsere intime Beziehungsebene. Ich unterschätzte deine Eifersucht, du mein Nähebedürfnis. Das ist okay – wir kannten uns nicht. Wir lernten uns schnell und intensiv kennen, rosa-rote Brille eben. Wer kennt’s nicht? Unstimmigkeiten verschwinden im rosa Dunst und tauschen erst wieder auf, wenn eben dieser beinah verflogen ist und Klarheit Einzug hält. Besser kalte Klarheit als verheißungsvolle Verblendung. Wer länger liebt, liebt klarer. Manchmal braucht es Zeit bis man merkt, dass viele Unstimmigkeiten eben darauf zurückzuführen sind, dass man sich vielleicht selbst überschätzt und den anderen unterschätzt oder die Beziehung im Großen und Ganzen nicht wirklich realistisch gestaltet hat. Vielleicht weil man es zu sehr wollte, vielleicht weil die Illusion so verlockend war. Wer weiß das schon.

„Was am Ende bleibt, sind die anderen. Denn die Affären treffen wir weiterhin, uns hingegen nicht mehr.“

Zu viel Offenheit kann im Schweigen enden. Ein Schweigen das aus sich wiederholenden Konfrontationen und Teufelskreisen entsprang, die letztlich nur noch zu Wut sowie Trauer führten und wenig Raum für Wachstum und Selbstreflektion ließen. Wachsen konnten wir ab einem gewissen Punkt nur noch allein. Wir ertrugen uns eher, als das wir uns aneinander erfreuten. Das alles klingt sehr negativ, aber es ist irgendwie ehrlich.

Rückblickend war es mutig, vielleicht auch eher übermütig.

Rückblickend ist es dennoch gut so, wie es gekommen ist.

Photo by: Jeng Juice