Warum ich diesen Sommer Pelz trage

Gastbeitrag von Anne

Seit meiner Jugend habe ich mich geschämt für das, was da neben meinen Brüsten zu sprießen begann: schwarze, dicke, lange Haare. Kein weicher Flaum. Nicht blond. Und schon gar nicht wenig. Full-on Körperbehaarung, sodass du mein Bein nicht von dem meines Bruders unterscheiden können würdest. Peinlich war mir das, unendlich peinlich.

Ich habe mich sowieso schon nicht besonders weiblich gefühlt (damals war das wohl ein Ding für mich) und diese Art der Behaarung machte mich neben Größe und Statur noch „männlicher“ (wie gesagt: die Idee, wie diese zwei Geschlechter aussehen sollten, war früher sehr präsent). Was habe ich mich geschämt.

Also weg damit, auf allen Wegen: rasieren, waxen, zupfen, mit Enthaarungscreme, mit der Pinzette … so oft wie möglich und nötig. Und nötig war das allemal! Zumindest habe ich es so empfunden. Die Prozeduren haben sich nicht nur auf die üblichen Stellen wie Beine, Achseln und Intimbereich beschränkt. Eine Zeit lang habe ich mich wortwörtlich von Kopf bis Fuß enthaart: Der kleine Flaum im Gesicht, die schwarzen Biester auf den Brustwarzen und auf dem Bauch bis runter in den Intimbereich. Und lass mich gar nicht erst von den großen Zehen anfangen! Auch die Arme und Finger wurden gewissenhaft von meinem fellähnlichen Bewuchs befreit. Jedenfalls erschien der mir so. Wie viel Zeit mich das gekostet haben muss, von den Unannehmlichkeiten wie Rasurbrand ganz abgesehen. Und das investierte Geld erst!

Knapp zwei Jahrzehnte später sind die Zeiten der vollständigen Enthaarung vorbei. Das passierte natürlich nicht von heute auf morgen, denn wie so vieles war das ein Prozess. Einer, in dem ich gelernt habe mich selbst zu mögen und zu akzeptieren, wie ich bin. Haarig, ja okay. Aber eben noch so viel mehr, vor allem an nicht-Äußerlichkeiten. Ich habe verstanden, dass ich mehr bin als ein Gesicht, eine Figur oder eben ein nacktmulartiger Körper. Was mich auszeichnet, ist meine Persönlichkeit. Die ist sicher auch nicht für jede:n etwas, doch die, die sich für mich begeistern, sind die, die ich in meinem Leben haben möchte. Und von denen hat sich noch niemand über meine Körperbehaarung beschwert, wirklich niemand!

Sicher könnte jetzt jemand argumentieren: „Aber Männer finden das doch nicht schön!!!“ Ja, die gibt es sicher. Das ist auch völlig okay, Geschmäcker sind ja bekanntermaßen verschieden. Die Menschen, die sich von so etwas wie meinen Körperhaaren abschrecken lassen, oder diese über meine Persönlichkeit stellen, brauche ich dann auch nicht in meinem Leben. Und das meine ich gar nicht so eingeschnappt, wie es vielleicht manchen vorkommen mag (wir Frauen werden ja gerne mal als „zickig“ gelesen). Es ist okay, wenn dir das nicht gefällt an einem Menschen. Und wenn es dich davon abhält, mich kennenzulernen ist das auch völlig okay. Dann passen wir einfach nicht zusammen, egal auf welcher zwischenmenschlichen Ebene.
Merkst du, was ich hier gerade promote? Es ist okay, wenn dir Sachen an mir nicht gefallen, viele Sachen gefallen auch mir nicht an anderen Personen. Ich wünsche mir nur, dass das mehr Menschen so sehen würden und ich nicht auf offener Straße mit den Worten „Geh’ dich mal rasieren, du Widerliche!“ beleidigt werde. Oder entsetze Blicke ernte. Ja, ich sehe vielleicht ein bisschen anders aus als viele das gewohnt sind. Seit über hundert Jahren wird nicht nur Frauen in den Medien und der Werbung suggeriert, dass Körperbehaarung absolut tabu ist. 

Es ist übrigens völlig okay, wenn du dich enthaarst und/oder dir das gefällt; würde ich nie drüber urteilen. Ich habe nur für mich realisiert, dass mir das nicht mehr so wichtig ist, zumindest ist das jetzt gerade so, vielleicht verändert sich das auch wieder. Jetzt gerade trage ich meinen Pelz und vor allem schäme ich mich nicht mehr dafür. Denn weder meine Behaarung noch mein Körper oder mein Gesicht definieren meinen Wert oder gar meine Weiblichkeit. 

Das mache ich ganz allein.